Wie sieht die Psychotherapie bei psychischer Manipulation aus? Haben Betroffene überhaupt Anspruch auf eine Psychotherapie? Was können Betroffene erwarten? Und was können Psychotherapeuten bei Gaslighting und psychischer Manipulation für ihre Klienten tun?
Gibt es ein Anrecht auf Psychotherapie bei psychischer Manipulation?
Grundsätzlich wird eine Psychotherapie nur dann bewilligt, wenn eine Diagnose vorliegt. Das bedeutet, dass von psychischer Manipulation Betroffene zeitliche und symptomatische Kriterien erfüllen müssen, um Anspruch auf eine Psychotherapie zu haben. Doch Diagnose ist nicht gleich Diagnose.
Eine Anpassungsstörung (F43.2) oder akute Belastungsreaktion (F 43.0) ist per Definition von kurzer Dauer. Die Anzahl bewilligter Stunden ist entsprechend gering. Die Diagnose einer Depression (F 32.x) oder Angststörung (F 41.x) hingegen wird oft durch eine manualisierte Therapie nach Leitlinien durchgeführt und kann je nach Schweregrad auch mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Für mehrfach von psychischer Manipulation Betroffene könnten auch die Diagnose einer überdauernden Persönlichkeitsakzentuierung (Z 73) oder -Störung (F 60.x) in Frage kommen. Viele Menschen, die Gaslighting erlebt haben, zeigen auch Symptome einer Posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1).
Je nach Diagnose wird dann eine entsprechende Behandlung geplant und umgesetzt. Doch – eine Diagnose ist Voraussetzung! Kann der/die Psychotherapeut/in keine Diagnose feststellen, haben Betroffene keinen Anspruch auf eine psychotherapeutische Behandlung.
Wie sieht eine Psychotherapie bei psychischer Manipulation aus?
Für viele Diagnosen gibt es mittlerweile Manuale, wie z.B. hier für die Posttraumatische Belastungsstörung. Bei dieser „manulisierten“ Therapie wurden die Kernthemen der entsprechenden Erkrankung/Störung bereits herausgearbeitet und passende Interventionen in Behandlungsschritte unterteilt. An diesen Manualen können sich Behandler orientieren, um ihren Klienten bestmöglichst zu helfen.
Obwohl die bei psychischer Manipulation wirkenden Prozesse einer Systematik folgen, gibt es im therapeutischen Kontext unseres Wissens nach bis heute kein richtungsweisendes Standardwerk. Psychotherapeuten sind weitestgehend auf sich gestellt:
Wie helfen sie einem Menschen, der psychische Manipulation erlebt hat?
Wo setzen sie an?
Was muss dieser Mensch wissen, verstehen, verinnerlichen, um sich aus diesem Kreislauf nachhaltig zu entfernen?
Und wie können sie als Psychotherapeuten mehr Klarheit und Selbstsicherheit im Umgang mit „schwierigen“ Klienten“ gewinnen? Gelingt ihnen die Gesprächsführung auch dann, wenn sie einen Sender von Gaslighting vor sich haben?
Im Buch Exit Gaslighting – Wege aus dem Nebel der psychischen Manipulation wird die Systematik psychischer Manipulation sichtbar gemacht.
Therapeutische Ziele wie „Selbstbewusstsein erhöhen“, „Abgrenzung erlernen“ oder „positive Aktivitäten aufbauen“ sind und bleiben wichtig.
Fraglich ist, ob diese Ziele von psychischer Manipulation Betroffene ausreichend auf das vorbereiten, was sie künftig zu bewältigen haben: Das Erkennen von und Aussteigen aus psychischer Manipulation.
Die unbewusste Invalidierung von Betroffenen
Die meisten Psychotherapeuten schenken ihren Klienten Glauben. Sie sind dafür ausgebildet, den Kern eines Problems systematisch zu erfassen und sich vollständig auf ihr Gegenüber einzustellen. Sie kennen das Spektrum menschlicher Gefühle, Verhaltensweisen und wissen, dass psychische Manipulation vor allem bei dissozialer, narzisstischer oder Borderline-Persönlichkeitsstruktur vorkommen kann.
Doch einige professionelle Helfer haben keine Ahnung, wie perfide dies den Alltag von Betroffenen durchziehen und welche Ausnahme das annehmen kann.
Von Gaslighting Betroffene können sehr sprunghaft, emotional ängstlich, angespannt und ungeordnet wirken. Wenn dies mit einer bruchstückhaften und beschleunigten Darstellung ihrer Erlebnisse zusammenkommt, kann leicht der Eindruck einer wahnhaften, psychotischen Störung entstehen.
Vor allem junge Therapeuten können sich manchmal nicht vorstellen, dass die Berichte von Betroffenen tatsächlich stimmen: „Kann das wirklich so stattgefunden haben?“
Wenn Therapeuten selbst geschockt und ungläubig von Berichten ihrer Klienten überrascht werden, kann das leicht zu einer unbewussten Invalidierung führen.
Betroffene spüren sehr genau, ob ihnen geglaubt wird oder nicht. Denn bei Gaslighting wurde ihre Wahrnehmung ja systematisch in Frage gestellt.
Für jemanden, der von Gaslighting betroffen war oder ist, wirkt diese ungewollte Invalidierung wie ein Schlag ins Gesicht. Er/sie sucht Hilfe, öffnet sich, vertraut sich an und – bekommt erneut zu spüren, dass die eigene Wahrnehmung in Frage gestellt wird.
Herausforderungen in der Psychotherapie bei psychischer Manipulation
Psychotherapeuten haben sich dazu entschlossen, Menschen zu helfen. Bei Klienten, die von psychischer Manipulation betroffen waren oder sind, stehen sie vor folgenden Fragen:
Wie können sie ihren Klienten am besten helfen?
Sind sie in der Lage, eine Konstellation zu erkennen, in der psychische Manipulation/Gaslighting stattfand?
Wie können sie mitfühlend und validierend ihren Klienten gegenüber sein?
Wie können sie verstehen, was dieser erlebt haben?
Die Autorin von Exit Gaslighting – Wege aus dem Nebel der psychischen Manipulation hat selbst über neun Jahre in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet und eine Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin abgeschlossen. Sie kennt die Herausforderungen professioneller Helfer im Umgang mit psychischer Manipulation aus eigener Erfahrung.
Mit ihrem Buch zeigt sie nicht nur Betroffenen Wege aus dem Nebel der psychischen Manipulation, sondern stellt auch jene Punkte heraus, an denen Psychotherapeuten mit ihren Klienten ansetzen können.
Exit Gaslighting erklärt Schritt für Schritt, wie psychische Manipulation durch Gaslighting entsteht und wie Betroffenen geholfen werden kann.
Psychotherapeuten können mit diesem Buch auch ihre Fähigkeiten im Umgang mit „schwierigen Klienten“ verbessern.
Denn auch professionelle Helfer haben es in ihrer praktischen Arbeit mit Sendern von Gaslighting zu tun.